Heute biete ich zum letzten Mal in diesem Jahr meine Klangmeditation „Dona nobis pacem“ in der Seitenkapelle der Leukerbadner Pfarrkirche an. Gleichzeitig findet im Aufbahrungsraum St. Josef eine Totenwache für eine verstorbene Dorfbewohnerin statt. Der mit Blumen geschmückte Sarg ist in der Mitte des Raumes aufgestellt, das ganze Dorf verabschiedet sich von einem geliebten Menschen. In Gedanken schicke ich meine Klänge in diesen Raum und ein „Agnus Dei, dona eis requiem“, „Lamm Gottes, schenke der Verstorbenen Frieden“. Nach meiner Vorstellung sucht ein Basler Ehepaar das Gespräch mit mir und meint, die Klänge seien wunderschön gewesen. Sie seien selbst Musiker, spielten aber eine ganz andere Musik und hätten so etwas noch nie gehört. Die Baslerin bedankt sich besonders bei mir, denn sie sei mit Schmerzen im Bauch gekommen und würde jetzt schmerzfrei wieder gehen. Sie ist nicht die Erste, die mir eine so erfreuliche Rückmeldung gibt.
Foto und Text: Petra Dobrovolny
Adventszeit
Advent: Worauf wie lange warten?
Pünktlich zum 1. Advent hängt wie jedes Jahr unser deutscher Nachbar gemeinsam mit dem Berner Nachbarn in dessen Kellerabteil etwa 20 kg rohes Schweine- und Rindfleisch zum Trocknen auf. Diejenigen unter Euch, die meine Tagebücher der letzten drei Jahre gelesen haben, wissen bereits, was nach ein paar Tagen passiert: Es entwickelt sich ein penetranter Verwesungsgeruch, der sich bis in die Waschküche und das Treppenhaus verbreitet. Seit drei Jahren beschwere ich mich über diesen Gestank, denn es ist mir jeweils für 6 Monate nicht möglich, meine Wäsche in der gemeinschaftlichen Waschküche zu trocknen. Auch an der letzten Eigentümerversammlung im Oktober, an welcher ich zum ersten Mal dieses Thema „öffentlich“ zur Sprache brachte, fand ich kein Gehör. Die Fleischtrockner meinten, dies täten sie schon seit 22 Jahren, es sei erlaubt und gute alte Walliser Tradition, von mir liessen sie sich nichts verbieten. Dass sich das Kellerabteil im gemeinschaftlichen Zivilschutzkeller befindet, sei unwichtig. Käfer und Mäuse gehörten zu einem Haus. Diese müsse man einfach töten. Dass es ein Hausreglement gibt, das bei der Nutzung gemeinsamer Räume auf die Rücksichtnahme setzt, wird ignoriert. Auch vom Verwalter. Dieser meint später zu Georg, das Problem würde sich „durch einen natürlichen Abgang“ lösen, die nächste Generation würde bestimmt kein Fleisch trocknen. Ausserdem sei diese Tätigkeit auf einen kurzen Zeitraum von 6 Wochen beschränkt. Falls ich wolle, könnte ich gerichtlich gegen diese Nachbarn vorgehen. Das will ich aber nicht. Also bleibt mir mal wieder nichts anderes übrig, als in den kommenden Monaten meine Wäsche nicht in der Waschküche zu trocknen. Das versprochene Gitter gegen Mäuse und Ungeziefer wurde bis jetzt noch nicht vor dem dortigen Fenster montiert. Niemand der anderen Miteigentümer*innen will mit der Sache etwas zu tun haben und Partei ergreifen. Niemand hat etwas gerochen. Meine Erkundigungen beim kantonalen Amt für Zivilschutzbauten ergeben: Es seien nur bauliche Veränderungen nicht erlaubt. Starke Geruchsemissionen seien Sache der jeweiligen Eigentümergemeinschaft. Ich soll also warten, bis die zwei etwa 85jährigen Nachbarn das Zeitliche segnet. Ähnlich scheint es auf der grossen Weltbühne zu sein: Wir müssen warten, bis Staatspräsidenten, die auch heute immer noch ihre Macht missbrauchen, ihr Lebensende erreicht haben, damit es Frieden und Gerechtigkeit gibt. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als öfters die Waschküche zu lüften und als Kontrastprogramm „das Parfum der Liebe Gottes“ (siehe hier im Text vom 20. August) in der Kirche zu geniessen. Die heilige Maria von Fatima tröstet mich und sagt: „Hab‘ Vertrauen! Diese Zeit wird zu Ende gehen. Hebe deinen Blick zu den Sternen: Kreise vollenden sich, neue Kreise werden beginnen.“
Foto und Text: Petra Dobrovolny
20.11.2024 „Weggeschichten“
Am 20. November hielt Bruno Zumofen, der Experte für die Geschichte Leukerbads, wieder einen Vortrag. Im Januar 2023 durfte ich bei seinen Ausführungen über die alten Badner Familien einiges erfahren. Darüber habe ich am Anfang meines Tagesbuchs 2023 berichtet. Dieses Mal heisst das Thema „Weggeschichten“, und Bruno erzählt auf „Wallisertitsch“, ab wann es welche Wege von und nach Leukerbad gab, und wer sie wann benutzen durfte. Als historisches Dokument dient ihm „das weisse Buch“, worin der jeweilige Gemeindeschreiber in der Zeit von 1500 bis 1908 alle wichtigen Gegebenheiten aufgeschrieben hat. Die heutige Strasse von Leuk im Rohnetal bis hinauf nach Leukerbad gibt es seit 1850. Vorher gab es nur den schmaleren Römerweg. Kutschen fuhren bis 1915, danach gab es bis 1967 die Zahnradbahn, welche zum grossen Bedauern vieler von Bussen abgelöst wurde.
Alte Flurnamen entstammen dem frankoprovenzalischen Dialekt. Darin enthaltene Silben wie „plan“ bedeutet Ebene oder „prae“ bedeutet Wiesenmatte. Auch keltische Namen sind erhalten geblieben. „Leuk“ bedeutet Wiese, „Dala“ trüber Fluss, „Brig“ Brücke, „Wallis“ Tal der Römer. Die damalige Walliser Währung hiess „Mauriner Pfund“. Die Strasse zur Nachbargemeinde Albinen gibt es erst seit 1978. Vorher benutzten die Einheimischen nur die Leitern, die es heute noch gibt. Es war damals keine Seltenheit, dass auch 70- oder 80jährige Frauen die Leitern geschickt hinauf- und hinabkletterten. Auch Kinder und Tiere wie zum Beispiel Ziegen wurden auf dem Rücken über die Leitern getragen.
1232 wurde zum ersten Mal der Gemmipass und der Weg nach Kandersteg erwähnt. Dies war vor Inbetriebnahme der Lötschbergbahn 1913 und weiteren Strassen- und Tunnelbauten während vieler Jahrhunderte der kürzeste Weg vom Berner Gebiet ins Wallis. In der Mitte des Weges wurde 1742 eine Zollstation erbaut, die später in das Gasthaus «Schwarenbach» umgewandelt wurde. Mit dem aufkommenden Tourismus beherbergte es berühmte Persönlichkeiten wie Alexandre Dumas, Jules Vernes, Guy de Maupassant, Mark Twain, J.W. Goethe, Lenin, Pablo Picasso usw.
Gemäss dem «weissen Buch» wurde festgelegt, zu welcher Zeit der Weg zu den Gebirgsweiden für das auf- und absteigende Vieh reserviert war. Die damaligen Kühe waren kleiner und hatten kürzere Beine. Heute weiden im Sommer nur noch Schafe rund um den Daubensee beim Gemmipass. Der Alpabzug im September ist immer noch jedes Mal ein Volksfest.
1484 wurde der Grundstein zur St. Barbara-Kirche gelegt. Bisher waren die Gläubigen jeden Sonn- und Feiertag den 16 km langen Weg zu Fuss zur nächstgelegenen Kirche nach Leuk gegangen. 1501 weihte Bischof Matthias Schiner von Sitten die Kirche ein und erklärte Leukerbad zur selbständigen Kirchgemeinde. Um 1870 wurde die Kirche erweitert, um 90° gedreht und der heiligen Maria geweiht. Dank dem erfolgreichen bischöflichen Marketing für das Bäderdorf entwickelten sich die Besucherzahlen rasant. Aus dem Jahr 1533 gibt es folgende Weisung im „weissen Buch“: „Falls jemand sich nicht zu Kurzwecken oder zu Besuch von Verwandten oder als Handwerker mit einem Auftrag in Leukerbad aufhält, solle er nach drei Tagen befragt werden. Kann er keinen Grund angeben, so solle er sofort abreisen, damit nichts Böses geschehe.“ Eine Zuhörerin im Publikum meint, diese Bestimmung sollte man heute wieder einführen. 1779 wurde der erste Kupferstich der Umgebung von Leukerbad erstellt und in demselben Jahr besuchte Goethe das Dorf. Er genoss die „säuberlich gefassten“ Thermalquellen und bedauerte, dass er nicht genügend Zeit gehabt hätte, um die Einheimischen, die er als freundlich und ehrlich einschätzte, näher kennenzulernen. Zu der Zeit betrug die Einwohnerzahl etwa 500.
Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Albiner Blumenkinder bei den Kurgästen sehr beliebt. Auf den schmalen Wegen nach Leukerbad pflückten sie einheimische Blumen wie Edelweiss, Enzian und Silberdisteln. Diese verkauften sie in kleinen Schachteln den Gästen, die sie per Post Bekannten und Verwandten in die ganze Welt verschickten. Manchmal verdienten die Blumenkinder pro Monat sogar mehr als der eigene Familienvater.
Die Albiner Leitern gibt es heute immer noch. Sie bestehen aus Holz, und jede ist etwa 10 m lang und 1 m breit. Ich habe sie bis jetzt auf meinen Wanderwegen vermieden. Man muss schwindelfrei sein. Es ist einfacher hinauf- als hinabzuklettern.
Foto: Altes Haus in Albinen und Text: Petra Dobrovolny
Jean Monnet, film doc
Jean Monnet, l’aventurier de l’Europe
Par Eric Roussel, historien et journaliste, et Jean-Marc Lieberherr Monnet, président de l’Institut Jean Monnet et petit-fils de Jean Monnet pour la Télévision Française
Projection à la Fondation Jean Monnet pour l’Europe,
Lausanne, le 5 novembre 2024
Ce film est extraordinaire, au-delà d’être un simple film documentaire. Il contient des documents historiques très précieux. Il montre la brutalité de la guerre d’une façon non-idéologique, mais très anti-humanitaire. La figure principale n’est pas glorifiée comme icône, mais comme homme de paix en service de l’humanité. Le fil rouge est la vision de Jean Monnet que la solution des problèmes se trouve dans la collaboration même avec des ennemis ou des ennemis du passé. Le chancelier Adenauer disait, que Dieu lui avait envoyé un ange. Jean Monnet a su enthousiasmer les gens pour l’idée de l’Europe. Ses yeux et son regard me sont restés dans ma mémoire de petite fille. Mon père a été un des premiers collaborateurs dès le commencement de la CECA au Luxembourg, ayant comme devoir d’informer surtout les journalistes allemands et de leur expliquer l’idée d’une Europe nouvelle après les guerres et comment réaliser ce nouveau paradigme de vivre et de travailler ensemble en communauté pour un future meilleur.
Etant réaliste, Jean Monnet savait très bien, que pas tout le monde aimait ses idées. Un représentant du camp adversaire était le Général de Gaulle, qui ne croyait pas à la force de synergie des pays européens et craignait que la France perdrait de grandeur ou sa propre identité. Les deux positions contradictoires sont très bien illustrées dans ce film.
Les points de mon avis importants pas encore mentionnés dans ce film :
On pourrait ajouter quelques mots sur les responsables des gouvernements des Pays-Bas, d’Italie, de la Belgique et du Luxembourg. Comment et pourquoi le Luxembourg a été choisi comme siège principal ? Surtout me manquent quelques mots concernant la Grande-Duchesse Charlotte, qui a joué un grand rôle intégratif.
Au moment dans le film, où Jean Monnet pense, que la génération suivante serait plus ouverte à ses idées, on pourrait ajouter un chapitre sur les Ecoles Européennes.
Et surtout on devrait ajouter des sous-titres en allemand et en anglais.
Texte et foto: Petra Dobrovolny
20.08.: Der Duft der Liebe Gottes
Bei meiner heutigen Klangmeditation „ausser Programm“ hörte mir eine ältere Besucherin eine dreiviertel Stunde lang zu. Danach kam sie zu mir und bedankte sich. Ich fragte sie, woher sie käme. Aus dem Kanton Jura, antwortete sie und erzählte mir, dass sie vor langer Zeit als Mitglied eines Kirchenchores in der Kathedrale von Chartres gregorianische Lieder gesungen hätte. Das fehle ihr jetzt. Meine Gesänge hätten sie daran erinnert, besonders mein „Kyrie eleison“ (Herr, erbarme Dich). Ich gebe ihr ein kleines Plakat mit den öffentlichen Daten meiner Klangmeditationen. Sie freut sich darüber und meint, dass sie an einem dieser Daten wieder nach Leukerbad käme. Dann zündet sie noch bei der heiligen Maria von Fatima eine Kerze an und verlässt mit nochmaligem Dank an mich die Kirche.
Im Bitt- und Dankbuch, welches auf dem Altar der Seitenkapelle liegt, kann jeder Besuchende Wünsche und das, was ihn oder sie gerade bewegt eintragen. Heute lese ich darin ein paar Sätze eines italienischen Besuchers: „Vielen Dank für die Erlaubnis, dieses wunderbare Gotteshaus besuchen zu dürfen. Hier spürt man den Duft der Liebe und der Güte Gottes.“ Im Original : « Si sente tutto l’amore di Dio con il suo profumo che porta l’amore è bonità.»
Ich finde es sehr berührend, dass jemand die Liebe Gottes so beschreiben kann und frage mich, ob mit dem „Parfüm“ Weihrauch gemeint ist, oder eine Mischung von Rosenholz, Wacholder und Jasmin.
Text und Foto: Petra Dobrovolny
Eine Marketingstrategie für Leukerbad
Theorie und Praxis
Am 26. Juni 2024, hat die Tourismus-Organisation von Leukerbad „myleukerbad.ch“ Gewerbetreibende, Ferienwohnungsbesitzende und alle anderen Interessierten zum jährlichen Informationsabend über die „Marketingstrategie 2026“ und die aktuellen Entwicklungen eingeladen. Etwa 60 Leute sind in den Theatersaal des Schulhauses gekommen. Es verspricht ein interessanter Abend zu werden, an dem ich etwas über das Marketing dieser Tourismusregion erfahren kann. „Nachhaltigkeit“ ist das Hauptthema, auf Englisch „sustainability“. Studien sollen zeigen, dass Touristen zunehmend „nachhaltiger“ reisen möchten und sich beim Aussuchen ihres Reiseziels darüber informieren, ob und wie das zur Auswahl stehende Hotel oder auch die ganze Destination mit natürlichen Ressourcen umgehen, ob regionale Produkte und authentische Veranstaltungen angeboten werden. Demzufolge ist die Nachhaltigkeit zu einem wichtigen Faktor der Marketingstrategie geworden. Wie ich zu meinem Erstaunen erfahre, sei die Schweiz europaweit führend und hat dafür das Label „swisstainable“ kreiert. Gastronomische Betriebe können das Label oder Zertifikat für einen Jahresbeitrag ab 150.- CHF erhalten, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen. Geprüft wird auch, inwiefern das Personal in die Gestaltung betrieblicher Abläufe miteinbezogen wird und sich in Bezug auf die Nachhaltigkeit weiterbilden kann.
75% der Gäste, die nach Leukerbad kommen, stammen aus der Schweiz. Dies bedeutet, dass die Zeit der Schulferien die jeweilige Hochsaison bestimmt. Die meisten Gäste kommen in den Weihnachtsferien und in der sogenannten Sportwoche im Februar. Im Mai und Juni zieht es die Schweizer eher in den wärmeren Süden statt in die Berge. Die aktuelle Vermarktungsstrategie setzt also darauf, dass Leukerbad ständig, d.h. 365 Tage im Jahr, eine Feriendestination werden soll. Der September und Oktober haben hier eine gute Chance, besonders wenn über dem Mittelland und Norditalien Nebel liegt. Die Lücken in der jährlichen Auslastung könnten Gäste aus ferneren Ländern füllen. Jetzt peilt man Japan an, Marktanalysen geben Indien und China auch eine gute Chance. Asiatische Gäste sind jedoch anderes Essen gewohnt. Der Marketingchef von Leukerbad, Herr C.D. meint, dass die Hoteliers flexibel sein und zum Frühstück Nudelsuppe anbieten müssten. Ich habe bereits selbst gesehen, was ein Leukerbadner Hotel nach dem Besuch einer chinesischen Gruppe alles wegschmeissen musste. Dies sah nicht gerade nachhaltig aus.
Für die landesweite und die internationale Vermarktung von Leukerbad hat man sich der Organisation „Valais Wallis Promotion“, die 2012 gegründet wurde, angeschlossen. Diese hat für die Marke „Wallis“ das Motto „Wallis ins Herz gemeisselt“ lanciert. Der Gast soll das Wallis einfach lieben, es sich einprägen und nie mehr vergessen. Leukerbad wird mit dem Motto „Quelle zum Glück“ beworben, auf Französisch „Source de bonheur“.
Die hiesigen Marketingfachleute schwärmen von der Vielfalt, die Leukerbad zu bieten hat und meinen genau zu wissen, was der Gast hier sucht: Er wolle das Freiheitsgefühl auf einem Mountainbike geniessen oder tagsüber wandern und abends ins Thermalbad. Familien wollten „Action“ und Spass. Das alles in einer Kulisse mit natürlicher Schönheit. Dies wolle man fördern und unbedingt die Bike-Weltmeisterschaft nach Leukerbad holen.
In der anschliessenden Frage- und Antwortrunde wird eher die Skepsis des Publikums deutlich. Ein Landwirt möchte die für die WM geplante Route sehen, denn diese führe wahrscheinlich durch sein Gebiet und die Bikes würde nicht so schnell behebbare Schäden anrichten. Wie stehe es denn dann mit der Nachhaltigkeit? Antwort von Herrn C.D.: Wo es Einsprachen gäbe, würde dies bei der Routenplanung berücksichtigt. – Ich weise auf den Interessenkonflikt zwischen Wandernden und Bike-Fahrenden hin. Als konkretes Beispiel führe ich den Panoramaweg an. Besonders seit einem Jahr sind dort in der schneefreien Saison an Wochenenden immer mehr Leute auf Bikes und „Monster-Trotinettes“ unterwegs. Der Weg werde aber auch von Familien mit kleinen Kindern und von älteren Leuten benützt. Bereits mehrere Wandernde hätten mir gesagt, sie überlegten sich, ob sie das nächste Jahr wiederkämen. Früher sei es besser gewesen. Die Antwort, die ich von Herrn C.D. erhalte, lautet: Eine Mehrfachbenutzung auf Wanderwegen sei in der Schweiz prinzipiell erlaubt und meistens auch so signalisiert. Man müsse eben Rücksicht nehmen und miteinander reden. Er würde seit 20 Jahren Biken und hätte noch nie ein Problem gehabt. – Meine nächste Frage: Es gibt auch viele Gäste, die sich bei ihrem Aufenthalt in Leukerbad Ruhe und Erholung wünschen. Wie werden diese in das Marketingkonzept eingebunden? Die Antwort: Diese könnten dann kommen, wenn nichts liefe. Da würden sich die Hoteliers freuen.
Beim anschliessenden Apéro, zu welchem alle eingeladen sind, frage ich Herrn Caliesch, ob der Begriff „noise pollution“, also Lärmverschmutzung als Faktor bei der Nachhaltigkeit aufgelistet sei. Er meint, dass Leukerbad damit bestimmt kein Problem habe. Ich entgegne: „O doch, zum Beispiel auf dem Dorfplatz bei der Après-Ski-Apéro-Bar im Freien würden die Boxen voll aufgedreht.“ Er meint, wenn dies ein privater Betrieb mache, könne man dagegen nichts sagen. Und die Bar gäbe es nur eine Woche lang. Mein Gegenargument: Die erlaubte Grenze an Dezibel würde wahrscheinlich überschritten. Die Antwort: In diesem Fall müsste ich mich an die Gemeinde wenden und mich beschweren. Dann erzähle ich Herrn C.D., dass ich weltweit viel gereist sei, zum Beispiel sei ich auch auf Barbados in der Karibik gewesen. Dort gäbe es vor 2 Uhr nachts wegen zu lauter Musik keine Ruhe. Die Insel sei bekannt für „noise pollution“ und viele Gäste würden deswegen ihre Ferien nicht mehr dort verbringen. Stattdessen seien andere Inseln, die weder Internets noch Events hätten und gerade das als Marketingstrategie lancieren, ständig ausgebucht. Mein Gegenüber schüttelt den Kopf. Das sei für Leukerbad nicht möglich.
Von einem Bike-Verleiher werde ich gefragt, ob ich in Leukerbad ein Hotel führe. Meine Fragen seien so entschlossen und mutig gewesen. Ich antworte lachend, dass ich Psychotherapeutin sei und unterwegs gerne mit Leuten ins Gespräch käme. Ausserdem sei ich Klangtherapeutin, hätte sehr feine Ohren und würde in der Kirche Klangmeditationen anbieten. Ach so, meint er, dann sei ihm alles klar. Er gibt mir recht: Die Bike-Fahrenden hätten eine viel zu starke Lobby. Die Jungfrau-Bahnen zum Beispiel hätten die Regel eingeführt, dass Biker erst ab 16 Uhr auf die Kleine Scheidegg fahren dürften, wenn alle sonstigen Touristen bereits auf dem Heimweg seien. Leukerbad müsste Wandernde und Bike-Fahrende auf die Dauer auseinanderdividieren. Ausserdem meint er, dass Biker der Region nichts bringen. Sie seien meistens Tagesausflügler, die weder ein Restaurant noch ein Hotel beanspruchten. Er bekäme morgens von ihnen einen Anruf mit der Bestellung, ein Bike an einem bestimmten Bahnhof oder einer Bushaltestelle bereitzustellen. Dann würden sie die Route fahren, sich aus dem Rucksack verpflegen, abends das Bike am abgemachten Ort wieder hinstellen und mit dem Zug nach Hause fahren. Deswegen sei es unverständlich, warum Leukerbad Tourismus die Biker so stark fördere.
Zum Glück kann ich mich in meine Wohnung, die eine Oase der Stille ist, zurückziehen, wenn mir der Rummel im Dorf in der Hochsaison zu viel wird. Ich höre immer wieder von Leuten, die gerade wegen der Ruhe nach Albinen, dem Nachbardorf, umgezogen sind oder dort statt in Leukerbad ihre Ferien verbringen. Ruhe zu erleben ist vielen Menschen ein tiefes Bedürfnis. Oft sagen mir Gäste, die meinen Klangmeditationen in der Kirche zuhören: „Jetzt bin ich endlich zur Ruhe gekommen und dafür danke ich Ihnen.“ Seit heute weiss ich, dass meine Klangmeditationen sogenannte authentische Veranstaltungen sind. Somit leiste ich einen Beitrag zur Nachhaltigkeit der Destination Leukerbad.
Es stellt sich die Frage, wie realistisch die Marketingstrategie 2026, die auf Biker und asiatische Touristen setzt, für Leukerbad ist. Wie ich erfahren habe, sind Biker meistens Tagesausflügler, die weder Restaurants noch Hotels in Anspruch nehmen. Biker werde nicht verhindern, dass gastronomische Familienbetriebe oft schliessen müssen, weil die Nachfolge fehlt. Eines der ältesten Leukerbadner Hotels hatte versucht, sich in den letzten Jahren als Biker-Hotel zu profilieren. Jetzt steht es zum Verkauf ausgeschrieben. Zunehmend benützen Biker beliebte Wanderwege und werden zu einer Gefahr für Touristen, die die Stille der Berge geniessen möchten. Unfälle häufen sich auch bei Frauen und Kindern, die ihr Fahrzeug nicht richtig beherrschen. Sie fahren in grossem Tempo auf ihren Bikes oder „Monster-Trottinettes“ die Wanderwege bergab. Oft können sie nicht bremsen, weil ihnen die Kraft in den Händen fehlt. Auch die engen Gassen im Dorf bleiben von Bikern nicht verschont. Wer sollte auf wen Rücksicht nehmen? Ich habe schon mehrmals von langjährigen Stammkunden sowie von Familien mit kleinen Kindern gehört, dass sie sich überlegen, eine andere Feriendestination zu suchen.
Die Einzigartigkeit, im Marketing „USP“ genannt, von Leukerbad liegt sichtlich in der Schönheit der Natur und dem Thermalwasser, welches europaweit am reichlichsten sprudelt und bei vielen Krankheiten heilend wirkt. Warum setzt die Marketingstrategie auf Biker, die Stammgäste vergraulen? Hier wird eine Gästegruppe gefördert, die ihr Freiheitsgefühl auf Kosten von anderen auslebt. Es gibt genügend andere Regionen, die Bikerouten anbieten. Und asiatische Touristengruppen bleiben meistens in der Gruppe zusammen. Einzeln besuchen sie weder eine Cafeteria noch ein lokales Geschäft. Grosse Hotels profitieren von ihnen am meisten.
Auch stellen sich weitere Fragen:
Warum gibt es in Leukerbad weder eine Arzt- noch Zahnarztpraxis?
Warum gibt es keinen Obst- und Gemüsemarkt?
Warum wird eine derart realitätsfremde Marketingstrategie entwickelt?
Foto: Leeshörner bei Leukerbad
und Text: Petra Dobrovolny
Unsere Ukrainerinnen
Kleiner Alltag und grosse Weltbühne
Am 26. Juni wird der kleine Platon 2 Jahre alt. Wenn er will, wird er immer noch liebevoll gestillt. Er gedeiht prächtig, ist nie krank, hat einen umwerfenden Charme und schaut oft wie ein Philosoph in die Welt. Jetzt beginnt er zu sprechen. „Njam, njam“ bedeutet Schokolade. „Daj, daj“ heisst „Gib her!“ Mein Partner Georg ist für ihn „Djeda“, sein Grossvater. Wie kam es dazu?
Anfang April 2022 nahm unsere Nachbarin eine ukrainische Familie auf, die von Mariupol im Osten der Ukraine in die Schweiz geflüchtet war: Die Grossmutter Larissa, Jg 1968, mit zwei erwachsenen Töchtern und deren Kindern. Die älteste heisst Veronika, sie war im 6. Monat schwanger und ist bereits Mutter der 12jährigen Tochter Xenia und dem 7jährigen Pavel. Die jüngere Tochter von Larissa, Kristina, kam mit ihren zwei Kindern, der Tochter Kyria (4) und dem Sohn Kostja (2).
Platon erblickte am 26. Juni 2022 im Inselspital Bern das Licht der Welt.
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Die Namen der Familie sind hier im Text verändert.
Mariupol liegt am Ufer des Asowschen Meeres und war bereits in der Antike eine bedeutende griechische Hafenstadt. Vor der russischen Invasion zählte sie 500’000 Einwohnende.
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Ende 2022 fuhren Larissa, Veronika und Kristina mit ihren jetzt insgesamt 5 Kindern zurück in die Ukraine. Sie fanden nicht so schnell eine Bleibe. Viele ostukrainische Familien sind vor den Russen in die Westukraine geflohen. Auch hier sind Städte teilweise zerbombt und viele Häuser unbewohnbar.
Larissa versuchte nach Mariupol – jetzt russisches Besatzungsgebiet – zu ihrem Mann zu kommen, der durch einen russischen Angriff mit Granaten verletzt worden war, jedoch überlebt hatte und nach einem Spitalaufenthalt wieder im eigenen durch den Angriff beschädigten Haus wohnt. Ersatzbauteile muss er bei den Russen bestellen und unterschreiben, dass sein Haus von der ukrainischen Armee beschädigt worden war. Das wollte er aber nicht unterschreiben, obwohl eine Reparatur dringend nötig wäre und seine Töchter und Enkelkinder unter diesen Umständen nicht dort wohnen können.
Kristina fand mit ihren zwei Kindern Unterkunft bei einer Freundin in der Nähe von Kiew. Veronika fuhr mit ihren drei Kindern zurück in die Schweiz. Ihr wurde eine Wohnung in derselben Gemeinde vermittelt, sodass sie von unseren Nachbarn unabhängig wurde und vorerst mal bis Ende 2025 selbständig wohnen kann. Die zwei älteren Kinder besuchen die hiesige Primarschule und erhalten zusätzlich online-Unterricht von einer Schule in der Ukraine. Xenia beendet diesen Sommer die schweizerische Grundschule. Pavel hat Anschluss zu anderen Fussball spielenden Buben gefunden. Beide Geschwister kümmern sich liebevoll um ihren kleinen Bruder Platon, der alle mit seinem Charme bezirzt.
In den vergangenen Osterferien waren sie wieder in der Ukraine, um den Vater zu besuchen. Auch Kristina und ihre Familie konnten sie wiedersehen. Deren Mann war kurz an der Ostfront im Einsatz und kam völlig traumatisiert zurück.
Georg besucht unsere Ukrainerinnen ein- bis zweimal pro Woche, bringt ihnen frischen Fisch vom Markt oder auch Obst wie Granatäpfel, Erdbeeren, Birnen usw. Pavel liebt besonders Karotten.
Die Kinder freuen sich schon darauf, den Vater in den Sommerferien wiederzusehen. An eine Rückkehr in die Ukraine ist aber noch nicht zu denken. Dort können die Schulen aus Sicherheitsgründen nur online-Unterricht anbieten. Mehrmals täglich tönen die Sirenen. Xenia hat mir auf ihrem Handy eine App, die rund um die Uhr den aktuellen Flugalarm in betroffenen Gebieten anzeigt. Veronika möchte ihre Kinder nicht dieser ständigen Traumatisierung aussetzen. Sie versucht ihnen den Alltag in der Schweiz so normal wie möglich zu gestalten.
Am Wochenende vom 15. und 16. Juni hat die Schweiz zu einer internationalen Konferenz, die auf den Frieden in der Ukraine hinwirken soll, auf den Bürgenstock bei Luzern eingeladen. Delegationen mit Staatsführenden und Medienleuten aus über 90 Länder kamen, China und Russland blieben fern. Die Kremlführung beeilte sich kurz vor der Konferenz ihre Vorstellung von Frieden zu kommunizieren: Die Ukraine solle auf östliche Landesteile wie Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson sowie auf die Krim verzichten und dürfe niemals ein Mitglied der NATO werden. Diese Mitteilung erfolgte nicht ohne „Begleitmusik“: Vom Kreml orchestrierte Medien behaupteten, die Schweiz würde Russland angreifen. Das Gipfeltreffen wurde lächerlich gemacht, um Delegationen anderer Länder von einer Teilnahme abzubringen. Viola Amherd, unsere die Bundespräsidentin und Gastgeberin auf dem Bürgenstock wurde als Satanistin und als eine Frau, die nur an Luxus und Selbstbereicherung denkt, diffamiert. Auch Cyber-Angriffe von russischer Seite auf die Konferenz fanden statt, wurden jedoch erfolgreich abgewehrt.
Dabei „vergisst“ die Kremlführung ihre eigene Unterschrift unter das Budapester Abkommen aus dem Jahr 1994 und damit die eigene Verantwortung. Damals verzichteten die Ukraine, Belarus und Kasachstan auf ihre Nuklearwaffen. Im Gegenzug wurden diesen Ländern die bestehenden Landesgrenzen garantiert. Dieses Abkommen unterzeichneten die Russische Föderation, die USA, UK, Frankreich und später auch China. Die Ukraine hat das Abkommen eingehalten und hat ihre nuklearen Waffen abgegeben. Die Kremlführung hat das unter Völkerrecht stehende Abkommen verletzt. Bis heute gibt es jedoch kein Gericht, das solche Vergehen bestraft. Die USA, UK und Frankreich stehen aber durch ihre Unterschrift in der Pflicht, die von der Kremlführung widerrechtlich angegriffene Ukraine zu verteidigen.
An der Konferenz auf dem Bürgenstock am Vierwaldstätter See hat die Weltöffentlichkeit zum ersten Mal gemeinsam und intensiv über einen Frieden in der Ukraine diskutiert. Das abschliessende Communiqué fordert die Respektierung international anerkannter Landesgrenzen und mahnt den russischen Präsidenten, dass jegliche Drohung mit nuklearen Waffen unzulässig sein. Indien, Saudi-Arabien und Südafrika unterschreiben dieses von der Mehrheit angenommene Communiqué nicht. Viola Amherd lässt als Fazit verlauten: „Wir haben erreicht, was zu erreichen war.“
Der beim Gipfeltreffen anwesende Staatschef von Lettland, Edgars Rinkevcs, ist von diesem Ergebnis positiv überrascht: Viele Länder, auch afrikanische, südamerikanische und asiatische, die sich auf diesem Gipfel einbrachten, stützen das Recht der Ukraine auf territoriale Integrität und das Recht sich zu verteidigen. Die Wahl des Ortes sei perfekt gewesen: Der Bürgenstock habe eine friedliche Ausstrahlung.
Während meiner Klangmeditationen in der Marienkirche Leukerbad habe ich in diesen Tagen meine harmonischen Klänge und Obertongesänge vor allem in Richtung Bürgenstock geschickt. Einmal kamen zwei Touristinnen, eine etwa 45jährige Mutter mit ihrer 25jährigen Tochter, beide hellblond mit für mich aussergewöhnlich hellen blauen Augen, setzten sich eine Weile in die hinterste Kirchenbank und lauschten. Dann zündeten die Tochter bei der Muttergottes eine Kerze an, und ich fragte die Mutter, woher sie kämen. Sie tat so, als verstehe sie mich nicht. Schliesslich fiel mir ein, was auf Russisch „woher“ heisst. Daraufhin antwortete die Tochter scheu: „We are from Russia!“ Ich wollte es genauer wissen, auch wenn es den beiden Damen peinlich zu sein schien. „From Northern Sibiria.“ Also von sehr weit weg. „Your music is beautiful!“ fügte die Tochter noch hinzu. Dann verliessen die beiden Damen sehr schnell die Kirche.
In den letzten Jahren kommen deutlich weniger russische Tourist*innen nach Leukerbad. Sie dämpfen ihre Stimme oder verfallen in ein Schweigen, wenn ich im Vorbeigehen den Augenkontakt suche und sie grüsse. Einen Gruss erwidern sie nicht und schauen weg.
Der deutsche Bauer Hubert Möhrle, der durch seine Landschaftsheilungen und „Humisal“ bekannt wurde, will versuchen, den russischen Präsidenten zu treffen, um ihm die Hand zu reichen. Dann gäbe es Frieden. Ich meine, dass bei einem solchen Treffen der kleine Platon auf dem Arm seiner Mutter unbedingt mit dabei sein sollte. Sein Lächeln wirkt entwaffnend und durch den Blick in seiner Augen erkennt der Betrachter sich selbst.
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Quellenangabe zum Bericht über das Gipfeltreffen auf dem Bürgenstock mit Interview mit dem Präsidenten von Lettland: Tageszeitung „Der Bund“ vom 17. Juni 2024, S. 1 bis 3.
Text und Foto: Petra Dobrovolny
Ein seltsamer Notartermin
Für den 13. Juni ist um 13.30 Uhr der Notartermin für die kleine Wohnung, die ich kaufen möchte, festgesetzt. Ich habe mir alles in meinen Gedanken schon ausgemalt: Die meistens Möbel werde ich vom Brockenhaus abholen lassen. – Zum besseren Verständnis für die Lesenden: In Leukerbad ist es üblich, dass Mobiliar und Inventar beim Wohnungskauf vom Käufer übernommen werden. – Danach werde ich den alten Teppichboden durch Laminat ersetzen und die Wände streichen lassen. Die Küchenschränke müssen auch erneuert werden. Meine Musikinstrumente wie Klangschalen, Monochords, Gongs, Trommeln, auch die Traumharfe haben in meinem Plan bereits ihren Platz gefunden. Meine Lampe mit den kosmischen Farben werde ich auf den Tisch vor das Fenster stellen. Passende Vorhänge habe ich noch auf Vorrat. Die Wohnung möchte ich für meine Meditationen und Kreationen benutzen und auch mal jemanden zu einer Therapiesitzung empfangen.
Nach vielen Regentagen scheint heute endlich wieder die Sonne. Ich freue mich darauf, den Notar und die Eigentümer der Wohnung, ein älteres Ehepaar, kennenzulernen. Auf dem Weg zum Büro der Immobilienmaklerin Frau B. an der Dorfstrasse, wo das Treffen stattfinden soll, schaue ich noch in die Kirche und bitte darum, dass alles nach göttlichem Plan verlaufen soll. Baulärm empfängt mich. Die Dorfstrasse ist aufgerissen, neue Rohre werden gelegt. Leukerbad setzt endlich ein schon lang geplantes Fernwärmenetz in die Tat um. Anstatt mit Heizöl sollen die Häuser mit dem Abwasser der Thermalbäder beheizt werden. Es wird gebaggert und gebohrt. Die Baustellen geben die Sicht frei auf ein Labyrinth mit neuen und alten Leitungen. Anwohnende balancieren über provisorische Stege aus Holzbrettern zu ihren Hauseingängen.
Die Verkäufer der Wohnung sind bereits vor mir im Sekretariat des Immobilienbüros eingetroffen. Herr G. streckt mir seine schlaffe Hand zur Begrüssung entgegen. Er scheint verwirrt zu sein, stellt sich weder vor noch spricht er mich mit meinem Namen an, sondern teilt mir mit: „Meiner Frau ist gerade schlecht geworden, sie musste sich übergeben. Das Mittagessen im Restaurant war zu salzig.“ Auf dem Sofa sitzt eine stöhnende Frau, die sich einen grossen Schal über den Kopf gezogen hat, sodass ich ihr Gesicht nicht sehen kann. So ist es mir nicht möglich, sie zu begrüssen und kennenzulernen. Die Maklerin bittet den Notar, mich und meinen Partner Georg nach oben in den ersten Stock zu gehen und im Sitzungszimmer am Tisch Platz zu nehmen. Herr und Frau G. würden in Kürze nachkommen. Wir nutzen die Zeit, um den sympathischen jungen Notar kennenzulernen. Nach einer Viertelstunde teilt uns die Maklerin mit, dass sie mit Einverständnis von Frau G. sicherheitshalber den Rettungsdienst bestellt habe. Der Notar schlägt vor, dass er jetzt dem inzwischen ebenfalls anwesenden Herrn G. und mir den Kaufvertrag vorlesen werde. Nach unserer Unterschrift könnte die unpässlich gewordene Frau G., die immer noch im Parterre halb auf dem Sofa liegt, ihrem Mann die Vollmacht dafür geben, dass er den Kaufvertrag mit ihrem Einverständnis unterschrieben hat.
Der Baulärm auf der Dorfstrasse hält sich in Grenzen. Unter solchen Umständen habe ich noch nie einen Vertrag unterschrieben. Georg hat sich inzwischen verzogen, denn es brauche ihn nicht dazu. Wir hatten entschieden, dass die Wohnung auf meinen Namen in das Grundbuch eingetragen werden soll. Unterdessen trifft der Rettungsdienst mit einer fahrbaren Bahre ein, die er geschickt über die Stege der Baustelle balanciert. Der Notar begibt sich mit Herrn G. nach unten, um die Vollmacht auszudrucken, die Frau G. unterschreiben soll und auch möchte. Ich bleibe im Sitzungszimmer und warte ab. Nach weiteren 10 Minuten kommen der Notar und die Maklerin nach oben. Sie teilen mir mit, dass die Notfallärztin Frau G. als unzurechnungsfähig diagnostiziert hätte. Somit durfte sie die Vollmacht für ihren Ehepartner nicht unterschreiben.
Inzwischen wird Frau G. bereits auf der Bahre über die Gräben der Baustelle hinweg abtransportiert. Ihr verwirrter Mann begleitet sie ins Spital nach Visp. Er hatte sich nicht mehr von mir verabschiedet. Der Notar erklärt mir, dass der Kaufvertrag nicht zustande gekommen sei. Er müsste neu aufgesetzt werden, die Verkäufer Herr und Frau G. müssten nun beide der Immobilienmaklerin die Vollmacht zur Unterschrift geben. Ein nächster Termin sei nötig, denn ich müsste alles nochmal unterschreiben. Um mich zu trösten, fügt der Notar hinzu: „Das kann alles innerhalb einer Woche erledigt werden.“ Und er meint kopfschüttelnd, er habe noch nie erlebt, dass während eines Notartermins mit ihm die Ambulanz kommen musste. Auch ich habe so etwas noch nie erlebt. Allerdings erinnere ich mich an einen Vorfall aus dem Jahr 1991: Mein Bruder und ich hatten in Deutschland die Wohnung unserer verstorbenen Eltern verkaufen wollen und warteten mit der Maklerin beim Notar auf die Käufer. Diese erschienen jedoch nicht. Weder hatten sie den Termin vorher abgesagt noch sich nachträglich entschuldigt. Bei Notarterminen treffen die Lebenswege verschiedener Menschen, die sich vorher nicht gekannt hatten, aufeinander. Ich bin der Meinung, dass ein Liegenschaftskauf positiv verlaufen muss. Die Umstände rund um einem solchen Vertragsabschluss bestimmen das spätere Wohngefühl.
Der heutige Vorfall geschah völlig überraschend. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Eine höhere Macht hat eingegriffen. Frau G. hatte die Absicht zu unterschreiben, die Notfallärztin hat es verhindert. Darüber könnte ich mich aufregen oder mich über Frau G. oder die Ärztin ärgern und ihnen Vorwürfe machen. Doch stattdessen bin ich erleichtert und lasse los. Unter solchen Umständen wäre ich mit der Wohnung nicht glücklich geworden. Mein Georg tröstet mich: Es wird bestimmt bald eine neue und bessere Gelegenheit geben. Noch am Abend schreibe ich an den Notar, die Maklerin und die Verkäufer: „Unter diesen Umständen verzichte ich auf den Kauf der Wohnung.“
Text und Foto: Petra Dobrovolny
Sonnenfinsternis
Meine Begegnungen mit Bruder Klaus
Am Freitag, den 8. März bot ich wieder eine Klangmeditation in der Pfarrkirche von Leukerbad an. Fünf Minuten vor Beginn strömen noch zusätzlich zu den bereits 15 Wartenden weitere 10 Gäste eilig herein. Georg hält Ihnen die Türe auf, gibt ihnen Sitzkissen und weist Plätze an. Dieses Mal befindet sich etwa ein Drittel Männer unter dem Publikum, so viele wie noch nie. Alle in Begleitung ihrer Partnerinnen. Die Kirchenglocken schlagen fünf Mal, also 17 Uhr, und ich beginne wie immer mit „in nomine patris et filii et spiritus sancti“, um sodann alle willkommen zu heissen mit „benedictus, benedicta, qui venit in nomine domini“. Bald schliessen die meisten der mir Zuhörenden die Augen, lassen sich von den sanften Klängen und Obertönen einhüllen und durchdringen, manche beten still vor sich hin. Dieses Mal versucht zum Glück niemand, mich zu filmen. Ich sehe eine goldene Lichtsäule, die aus dem Inneren der Erde kommend, sich durch meine Füsse bis über meinen Kopf spiralig nach oben dreht bis über das Dach der Kirche hinaus in den Abendhimmel. Die starke Konzentration des Publikums hilft mir, diese Lichtsäule die ganze Zeit mit meinen Klängen zu nähren und die entstehende Energie des Friedens zunächst im Kirchenraum zu verdichten, um sie sodann in die Welt zu senden. Nach einer Dreiviertelstunde schliesse ich ab mit „pax domini sit semper vobiscum“ und „andate in pacem“. Die Glocken schlagen viertel vor sechs. Ich danke den Anwesenden dafür, dass sie gekommen sind, um für den Frieden in der Welt und im Herzen zu beten. Georg sammelt die Kollekte ein. Etwa fünf Leute kommen die Altarstufen zu mir nach oben, um meine Instrumente aus der Nähe zu betrachten. Ein Mann steckt seine grosse Nase der Reihe nach in meine Klangschalen und sagt verwundert: „Die sind ja leer!“ Auch seine Frau will das Geheimnis meiner Klänge erforschen und berührt eine Schale. Ich bitte sie, es sein zu lassen und frage das Paar, woher sie kämen. „Aus der Innerschweiz, vom Kanton Obwalden“, sagt die Frau. „Oh, so wie Niklaus von Flüe“, antworte ich. „Ja, wir heissen auch von Flüe“. Jetzt bin ich diejenige, die staunt. Ob ich diese Meditation auch an anderen Orten gäbe, möchten sie wissen. Als ich verneine, bitten sie mich um meine Visitenkarte und meinen, sie würden gerne wiederkommen.
Niklaus von Flüe lebte von 1417 bis 1487. Er war ein einfacher Bergbauer, der weder lesen noch schreiben konnte, er war hellsichtig und hatte Visionen. Im Alter von 50 Jahren verliess er mit dem Einverständnis seiner Frau seine Familie mit inzwischen 10 Kindern. Die zwei ältesten inzwischen erwachsenen Söhne übernahmen den Bauernhof. Bruder Klaus verbrachte er den Rest seines Lebens ohne Essen und Trinken in einer Einsiedelei in der bewaldeten Ranft-Schlucht in der Nähe seines Familienhauses, um als Eremit zu beten und zu meditieren. Manchmal kamen Ratsuchende zu ihm, man erzählte von Wunderheilungen und anderen Wundern. Im Jahre 1481 bewahrte er durch seine Ratschläge und Ausstrahlung die Schweizer Eidgenossenschaft vor einer Spaltung und einem Bruderkrieg. Auch nach seinem Tod wandten sich viele Gläubige in ihrem Gebet an Bruder Klaus und berichteten, dass ihre Bitten erhört wurden. Auch während der beiden Weltkriege sollen ihn viele Menschen um Schutz und Beistand gebeten haben. 1947 wurde er heiliggesprochen und wurde offiziell zum Schweizer Nationalheiligen mit weltweiter Ausstrahlung.
Nun bin ich Bruder Klaus innerhalb kurzer Zeit viermal begegnet: In der Kirche von Albinen, die ihm geweiht ist, durch die neue Sakristanin von Leukerbad, Schwester Antoinette, die aus Sachseln, dem Herkunftsort von Bruder Klaus, stammt, im Kapitel 5 des Buches „Und plötzlich grosse Klarheit – Positive Prophezeiungen für die heutige Wendezeit“ von Armin Risi und nach meiner Klangmeditation diesem Ehepaar aus Obwalden, das dem Namen nach sogar mit ihm verwandt ist. Im Jahre 2017 erschien zum seinem 600. Geburtstag ein Buch mit dem Titel „Niklaus von Flüe – Engel des Friedens auf Erden“.
Meine Klangmeditationen verstehe ich als Gebet für den Frieden. Diese Begegnungen mit Bruder Klaus sind für mich ein Zeichen dafür, dass ich ihn dabei um Kraft und Inspiration bitten darf.
Foto: Staue von Bruder Klaus in der Kirche von Albinen bei Leukerbad
und Text: Petra Dobrovolny