Rückblick 2023

Text und Foto: Petra Dobrovolny

Frohe Weihnachten!

21.12.23 Wintersonnenwende

Wie die Zeiten sich ändern oder auch nicht

17.12.2023 Dritter Advent und ein Rückblick

Foto und Text: Petra Dobrovolny

Eine Neuerscheinung

Dokumente aus dem Jahr 1977 und die Erinnerung an einen juristischen Schutzengel

Kennt Ihr das auch? Ihr sucht ein Dokument tief unten in einer alten Schachtel. Zum Vorschein kommt ein anderes. So erging es mir vor ein paar Tagen. Mein Fund veranlasste mich zu einer Reise in vergangene Zeiten. Das Dokument, welches bei meiner Suche zum Vorschein kam, ist eine Verfügung der Fremdenpolizei des Kantons Zürich vom 6. Juni 1977. Sie stützt sich auf das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 (!) und ist eine Antwort auf meine insgesamt drei Gesuche um die Verlängerung der Gültigkeit meiner Aufenthaltsbewilligung, um die Bewilligung zum Stellenantritt als Psychologin für neuropsychologische Therapie am Kantonsspital Zürich im Rahmen eines Forschungsprojekts des Schweizerischen Nationalfonds sowie um eine Niederlassungsbewilligung im Kanton Zürich. Meine Gesuche werden alle abgelehnt, da ich ohne fremdenpolizeiliche Genehmigung meine Arbeitsstelle widerrechtlich bereits am 1.9.1976 angetreten hatte. «Zum Verlassen des zürcherischen Kantonsgebietes wird ihr (mir) eine Frist bis zum 10. Juli 1977 angesetzt.» Gemäss dem Bundesgesetz aus dem Jahre 1931 Artikel 17 Absatz 2, so wird in der Verfügung ausgeführt, zählt nicht, dass mein Ehemann für den Kanton St. Gallen eine Niederlassung und für den Kanton Zürich eine Nebenniederlassung hat. Es zählt ebenfalls nicht, dass ich weiterhin zwecks Doktorandenstudium an der Universität Zürich immatrikuliert bin.

Zur Erklärung für die Lesenden: Im Herbst 1970 hatte ich nach meinem Abitur an der Europa-Schule in Luxemburg meinen Wohnsitz zwecks Studiums in die Schweiz verlegt. Somit stand ich unter Aufsicht der kantonalen Fremdenpolizei. Gemäss unserer Kenntnis der Bestimmungen hätte ich gesetzlich ein Anrecht auf eine Niederlassung in der Schweiz gehabt, falls ich entweder einen Schweizer oder einen «Niederlasser» heirate, d.h. einen Ausländer, der in der Schweiz wohnen und arbeiten darf. Als politischer Flüchtling nach der sowjetischen Invasion in die damalige Tschechoslowakei im Jahre 1968 hatte mein Georg gesetzlichen Anspruch auf eine Niederlassungsbewilligung. Den Antrag auf einen Schweizer Pass konnte er erst nach 12 Jahren ununterbrochenem Wohnsitz in der Eidgenossenschaft stellen, wenn er noch dazu die letzten 3 Jahre dieser Zeit in derselben Wohngemeinde verbracht hatte. Doch das ist eine andere Geschichte.   

Mein Stellenantritt in Zürich per 1.9.1976 war uns seit Ende Juni 1976 bekannt. Im Juli schloss ich meine Lizentiatsprüfung in klinischer Psychologie ab. Im August wollten wir heiraten, auch damit meiner Arbeitsbewilligung nichts mehr im Wege stand. An Georgs Eltern, die in der Tschechoslowakei lebten, hatten wir schon längst die damals nötigen Antragsformulare für eine Ausreisegenehmigung zu unserer Hochzeit geschickt. Doch die kommunistischen Behörden zögerten die Bearbeitung mit schlussendlich einem negativen Entscheid lange hinaus. Einen Hochzeitstermin bekamen wir gerade doch noch für Ende September hin. Dies alles war der Fremdenpolizei äusserst verdächtig und sie vermuteten, dass ich mir mit grosser Raffinesse einen «Niederlasser» angeln wollte, um auf Kosten der Schweiz meine akademische Karriere fortzusetzen. Es musste sich um eine fingierte Heirat handeln, zumal ich mich «nicht in einem gemeinsamen Haushalt mit dem Ehemann aufhielt». Obwohl wir bereits ein halbes Jahr vor der Hochzeit in Zürich eine gemeinsame Wohnung hatten. Ausschlaggebend für die Zürcher Fremdenpolizei war Georgs Hauptwohnsitz im Kanton St. Gallen, für welchen er eine Niederlassungsbewilligung hatte. Seit April 1977, also noch vor der fremdenpolizeilichen Verfügung vom 7. Juni hatte Georg auf seinen Antrag hin eine Nebenniederlassungsbewilligung für den Kanton Zürich erhalten. Gemäss den Zürcher Behörden hätte ich, um die «Echtheit» unserer Eheschliessung zu beweisen, in St. Gallen bei meinem Ehemann wohnen, den gemeinsamen Haushalt besorgen müssen und die mir angebotene Stelle am Kantonsspital Zürich erst gar nicht annehmen dürfen.  

Immerhin wurde mir eine Frist von 20 Tagen genehmigt, um gegen die Verfügung beim Regierungsrat des Kantons Zürich Rekurs einzulegen. Mein Schreiben «muss einen begründeten Antrag erhalten. Verfügung und Beweismittel sind beizulegen oder genau zu bezeichnen.» Bereits seit Herbst 1976 hatte ich begonnen alle möglichen Formulare auszufüllen und einzureichen. Am 1. Februar 1977 hatte mich das Arbeitsamt des Kantons Zürich angerufen und mir mündlich mitgeteilt, dass ich keine Arbeitsbewilligung benötige, wenn ich eine Niederlassung hätte. Und falls ich noch an der Uni immatrikuliert sei, würde ich nicht das Kontingent für ausländische Arbeitskräfte belasten, sondern als Studentin gelten. Wahrscheinlich stimmt hier das Gesetz von 1931 nicht mehr mit den im Jahre 1977 praktizierten Bestimmungen für ausländische Arbeitnehmer überein. Oder das eine Amt weiss nicht, was das andere tut. Mein Chef, der Leiter des neuropsychologischen Laboratoriums, verstand als Schweizer die Welt nicht mehr. Er unterschrieb in mehreren Formularen die Erklärung, dass er über diese administrativen Schwierigkeiten vor meinem Stellenantritt nicht informiert worden war.

Wie schon oft in meinem Leben trat nun ein Schutzengel auf die Bühne, dieses Mal in Gestalt eines Zürcher Rechtsanwalts. Er wurde uns über einen lieben Freund vermittelt. Dieser Schutzengel rief am 21. Juni 1977, also noch rechtzeitig vor dem 10. Juli, an welchem ich spätestens das Zürcher Kantonsgebiet hätte verlassen müssen, kurzerhand den Chef der Zürcher Fremdenpolizei an und liess ihm anschliessend ein Protokoll dieses Telefonats per Einschreiben mit Kopie an Georgs St. Galler Adresse zukommen. Telefonisch hatte er dem Herrn Polizisten die «auf Missverständnissen beruhenden Differenzen zwischen dem Kanton Zürich und dem Kanton St. Gallen dargelegt.» In der Schlussfolgerung wird in bestem Einvernehmen beider Kantone die zürcherische Verfügung vom 6.6.1977 suspendiert. Das weitere vereinbarte Vorgehen: Georg werde in St. Gallen für mich eine Niederlassungsbewilligung, auf welche ich gesetzlichen Anspruch hätte (also doch!), beantragen. Sobald diese ausgestellt sei, was in wenigen Tagen passiere, werde Georg sich mit der Zürcher Fremdenpolizei in Verbindung setzen, um die weiteren zürcherischen Formalitäten für mich zu erledigen. Mein Schutzengel beendet den Brief so: «Ich danke Ihnen dafür, dass Sie so entschlossen und rasch dazu beigetragen haben, die schon sehr verfahrene Situation einer glücklichen Lösung zuzuführen und verbleibe mit freundlichen Grüssen P.M.G. Man kann viel von Schutzengeln lernen. Nach 10 Monaten Hin und Her mit unzähligen eingeschriebenen und per express gesandten Briefen und Telefonaten fand diese «Causa» ein gutes Ende.

Ich hatte nie daran gezweifelt, denn ich wusste, dass ich im Recht war und sich die Missverständnisse irgendwie aufklären würden. Weder kündigte ich meine Arbeitsstelle noch unsere Wohnung, noch packte ich meine Sachen, um das Zürcher Kantonsgebiet vor dem 10. Juli 1977 zu verlassen.  Dank dieser glücklichen Wende konnten alle Beteiligten, vor allem mein Chef, erleichtert aufatmen. Für ihn hatte viel auf dem Spiel gestanden: Das Forschungsprojekt des schweizerischen Nationalfonds, dessen Leitung er innehatte, war vor meinem Stellenantritt bereits zwei Jahre lang ohne bauchbare Ergebnisse verlaufen. Nun lagen alle Hoffnungen auf mir, innerhalb der weiteren zwei Jahre eine neuropsychologische Therapie für hirnverletzte Patienten und Patientinnen zu erarbeiten, deren Erfolg sich einerseits in einer gelungenen Rehabilitation der Betroffenen in Alltag und Beruf zeigte und andererseits wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte. Für die Betroffenen stand noch viel mehr auf dem Spiel als für meinen Chef: Viele wurden damals in einer psychiatrischen Klinik versorgt oder sie verkümmerten als Folge einer fehlenden passenden Therapie nter der Obhut von sich aufopfernden Angehörigen. Es gelang mir, die neuropsychologische Therapie als wichtigsten Baustein der Rehabilitation zu erforschen und schweizweit bekannt zu machen. «Neuro-Rehabilitation» war kein Fremdwort mehr. Das diskriminierende Menschenbild, welches auch in der Fachwelt verbreitet war, wandelte sich. Meine Dissertation über Betroffene, die als Erwachsenen plötzlich eine Hirnverletzung erleben, fand grossen Anklang. Die damals neu entstandenen regionalen Selbsthilfegruppen von Betroffenen und deren Angehörigen sowie Arbeitgebende und Vorgesetzten gaben mir zahlreiche positive Rückmeldungen und dankten mir dafür, dass meine Arbeit zu einem besseren Verständnis dieser Mitmenschen verholfen hatte.

Vor etwa vier Jahren hörte ich zufälligerweise in den Mittagsnachrichten folgende Meldung: Die Schweiz hätte sich entschieden einem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Personen aus dem Ausland, die hier ein Studium oder eine Fachausbildung abgeschlossen hätten, erhielten ab sofort eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung auch ohne einen Schweizer oder eine Schweizerin oder jemanden mit einer Niederlassungsbewilligung heiraten zu müssen.

Die Dokumente aus dem Jahre 1977 kann ich nun als Altpapier entsorgen. Meinem damaligen Schutzengel, der mir nie eine Rechnung geschrieben hat, danke ich noch einmal in der Form eines Gebets. Bestimmt hat er eine «himmlische Karriere» gemacht, wandelt jetzt unsichtbar auf dieser Erde und bewirkt zur Verwunderung der Menschen unerklärbare glückliche Wendungen. Ruft ihn herbei, wenn ihr in Not seid!

Foto: Sonne über Leukerbad

und Text: Petra Dobrovolny-Mühlenbach 

23.09.2023, Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche: Ein Klassentreffen

Heute findet unser Klassentreffen in Rolandseck statt: Wir sind 8 ehemalige Schüler und Schülerinnen, die in den 50er und 60er Jahren in Luxemburg die Europa-Schule besucht haben. Ein paar von uns kennen sich seit der Kindergartenzeit, einige haben 1970 gemeinsam das Abitur gemacht. Während all der Jahre hatten wir den Kontakt nicht verloren, auch wenn unser Lebensweg uns in unterschiedliche Länder führte. Nach einigen Online-Treffen entstand der Wunsch nach einem physischen Treffen. Jemand hatte die Idee mit Rolandseck und einer kulturellen Einlage im Programm, der Besichtigung des Arp-Museums. Einige unserer Klasse haben sich nicht mehr gemeldet, einige waren zu diesem Termin verhindert, wir machen das Beste daraus.  

Die Nazi-Zeit und den 2. Weltkrieg kennen wir aus den Erzählungen unserer Eltern, heute besuchen wir ein Museum mit Werken von dem Künstlerehepaar Hans Arp und Sophie Täuber, die in den 30er Jahren aus Deutschland fliehen mussten, weil Ihre Kunst als «entartet» galt. Wir sind in einer Zeit aufgewachsen, in welcher aus dem Wunsch nach einer Versöhnung von Frankreich und Deutschland die europäische Gemeinschaft – für Kohle und Stahl – mit damals 6 Ländern entstand. Der Wunsch nach einer Zusammenarbeit zum Wohle aller, vor allem die Sehnsucht nach einem dauerhaften Frieden verbreitete eine Aufbruchstimmung und einen Optimismus. In dieser Atmosphäre wuchsen wir auf, auch mit der Neugier, andere Länder und Sprachen kennenzulernen. In Luxemburg, Brüssel und Varese entstanden Europa-Schulen, in denen Kinder aus Frankreich, Italien, Belgien, den Niederlanden, Luxemburg und Deutschland gemeinsam unterrichtet wurden. Die Schulen waren auch offen für andere Nationen. So bekamen wir einen persischen Mitschüler, dessen Eltern Baha’i sind und den Iran verlassen mussten. Fremdes erlebten wir nicht als Bedrohung, sondern als seelisch-geistige Bereicherung. Manche von uns haben Partner und Partnerinnen aus anderen Ländern geheiratet oder haben des Berufes wegen in anderen Ländern gelebt. Umso weniger verstehen wir, wie die europäische Gemeinschaft sich in den letzten drei Jahrzehnten entwickelt hat und ein bürokratisches Monster geworden ist. In den letzten Jahren sorgte die Pandemie für viele Arten von Trennung zwischen den Menschen, auch Themen wie der Ukrainekrieg und die Klimakrise entzweit die Menschen. Doch während unseres Klassentreffens geniessen wir unsere alte Vertrautheit, erinnern uns an gemeinsame Erlebnisse und gemeinsame Lehrer und Lehrerinnen. Wir freuen uns am gemeinsamen Essen, dem wunderbaren Wetter und an diesem Treffen, welches wir nächstes Jahr wenn möglich im Elsass weiterführen möchten.

Am Abend laden Georg und ich meine in Bonn wohnende Patentante und ihren Lebenspartner in die Dreesen Suite zu einem Glas Wein ein. Wir möchten die Räume noch nutzen, denn für die 4. und letzte Nacht vor unserer Rückreise in die Schweiz müssen wir in ein kleines Doppelzimmer nach nebenan umziehen. Jemand hat die Suite für die nächsten zwei Wochen gemietet. Unsere Gäste erzählen von alten Zeiten, vom Ende des Krieges, von vielen Nächten, die im Keller verbracht wurden, von ihren Gebeten an die Engländer und Amerikaner, Deutschland endlich von dem Irrsinn zu befreien.

Für Sonntag darf ich mir einen Ausflug auf den Petersberg wünschen. Das Hotel mit Zentrum für internationale Konferenzen ist immer noch auch ein Gästehaus für Staatsgäste der Bundesregierung. Es beherbergte nach dem Krieg die erste deutsche Bundesregierung unter Konrad Adenauer. Mein Vater hatte vor meiner Geburt als Pressesprecher für ihn gearbeitet und uns Kindern erzählt, wie Adenauer ihm gezeigt hatte, welchen Tisch mein Vater in den Flur stellen könnte, um dort zu arbeiten, denn die Plätze in den Büros waren beschränkt. Auf Adenauers Empfehlung hin engagierte in Luxemburg im August 1952 Jean Monnet meinen Vater als Pressesprecher der hohen Behörde der Montanunion für die deutschen Medien. Die Europäische Gemeinschaft war gerade geboren worden, ich bald auch, und so zog unsere Familie nach Luxemburg um. Am 17. Mai 1991, einen Tag bevor er starb, konnte er «sein Büro» auf dem Petersberg noch einmal besuchen. Während seiner Tätigkeit hatte mein Vater einen regen Austausch mit Journalisten und Journalistinnen, die ihn grosszügig mit ihren Pressefotos versorgten. So entstand eine aussergewöhnliche Sammlung für die heutige Zeit wertvoller Dokumente über die ersten Jahre der Europäischen Gemeinschaft. Diesen Nachlass schenkte ich der «Fondation Jean Monnet pour  l’Europe» in Lausanne, wo er heute von Besuchenden und Studierenden aus der ganzen Welt besichtigt wird.

Heute darf ich auf der Terrasse des Petersbergs mit meiner Patentante und ihrem Partner Tee und Schokoladeneis geniessen, bei herbstlichem Sonnenschein und ungewöhnlich klarer Aussicht auf den Rhein, das Hotel Dreesen und den Kölner Dom.   Tatsächlich können Georg und ich am Montag, den 25. September vom Bonner Hauptbahnhof abfahren. Sicherheitshalber hatte Georg am Tag vorher die Auskunft gefragt. Es wurde ihm bestätigt, dass die Baustelle seit Samstag beendet sei. Da stehen wir nun rechtzeitig auf dem Bahnsteig. Die Ansage lautet: «Der EC von Hamburg Altona nach Zürich wird mit einer Verspätung von 10 Minuten eintreffen. Der Grund dafür ist eine Baustelle.» In den nächsten Minuten ändert sich die Ansage, der Zug werde 20, dann 30, dann 40 Minuten verspätet sein, dann wieder 30 Minuten. Nach 25 Minuten fährt der EC plötzlich ein, und wir sind froh, endlich dem kalten Wind und dem kundenunfreundlichen Bahnsteig ohne vor dem Wetter schützende Wartemöglichkeiten. Der Zug fährt nach dem Halt in Basel nicht mehr weiter nach Zürich. Doch dies betrifft uns nicht. Wir müssen sowieso nach Bern umsteigen und kommen schliesslich mit mehr als einer Stunde Verspätung zu Hause an.  
Am 3. Oktober stehe ich wieder hinter dem Altar der Seitenkapelle in der Pfarrkirche Leukerbad. Vor mir warten meine drei Kristallklangschalen darauf, dass ich sie in Schwingung setze. Heute möchte ich diese harmonisierenden Klänge nach Deutschland schicken, zum Tag der deutschen Einheit. Einigkeit und Recht und Freiheit … Wo sind sie geblieben? Wann wird man je versteh’n? Alle Menschen werden Brüder … Freude … Wo ist all das geblieben? Mögen meine Klänge den göttlichen Funken wiedererwecken.

Foto: Der Rhein bei Mehlem

und Text: Petra Dobrovolny 

22. September 2023: Mein Beitrag zur Heilung Deutschlands

Bei Sonnenuntergang setze ich mich auf das Bett unserer Hotelsuite, zünde eine Kerze und ein Räucherstäbchen mit Weihrauch an. Ich habe vor eine Heilmeditation für Deutschland durchzuführen, denn ich bin nicht zufälligerweise ausgerechnet an diesem Ort gelandet. Die ältere Generation weiss noch sehr gut, dass der alte Herr Dreesen, der Besitzer des Hotels, ein Nazi war und Adolf Hitler hier oft zu Gast weilte. Der Führer übernachtete jeweils in der einzig vorhandenen Suite im obersten 4. Stock in der Mitte des mächtigen Hotelgebäudes. Genau hier sitze ich jetzt, wenn auch auf einem anderen Bett mit einer neuen Matratze. Ich bitte um göttlichen Schutz und den Beistand von Christus und der heiligen Maria. Erzengel Michael, der auch zuständig ist für Deutschland, erscheint mir und begleitet mich während meiner ganzen Meditation. Mir wird die Landkarte von Deutschland gezeigt. Tatsächlich befindet sich darüber eine grosse Glocke aus braunem Glas, ähnlich dem Glas von Bierflaschen. Auch ein paar Nachbarländer sind in braunes Licht eingehüllt, vor allem Ungarn, die Slowakei und Österreich. Die Schweiz nur am nördlichen Rand. Ich schaue mir Deutschland von oben her genauer an: Nicht alles ist in braunes Licht getaucht. Im Land verstreut gibt es hellere grössere und kleinere, stärkere und schwächere Kreise aus weissem Licht. Hier wurden bereits Landschaftsheilungen durchgeführt. Als Beispiele davon zeigen sich mir Berlin, München, Augsburg, Regensburg, die Externsteine, Görlitz, Aachen, Köln, … oder es handelt sich um starke Kraftorte, die immer ihr Licht behalten hatten. Dies scheinen vor allem Marienwallfahrtsorte und die Hansestädte zu sein. Besonders fallen mir der Rhein mit seiner tunnelförmigen goldenen Aura und das starke weisse Licht des Bodensees auf. Ich bitte um Auflösung der braunen Glocke, doch es tut sich nichts. Sie hat sich festgesaugt. Erzengel Michael führt mich in einen unterirdischen sehr verstaubten fensterlosen Raum. Nach einer Weile erscheint eine magere Gestalt mit zitternden Bewegungen. Sie trägt eine verschlissene braune Uniform und hat einen stechenden Blick. Am spärlichen Schnauzbart erkenne ich, wer es ist. «Bringt mich endlich weg von hier!» Die Gestalt scheint mich kaum wahrzunehmen und richtet die stammelnden Worte auch nicht an mich, sondern führt eher ein Selbstgespräch mit einer geschwächten Wut, wie sie in diesem Zustand, den ich als vergiftet erkenne, noch möglich ist. Röchelnd stösst sie ein Wort nach dem anderen hervor: «Solche Dummköpfe! Ich wäre schon längst weg ohne sie! Sie verehren mich immer noch. Sie haben nix, rein gar nix begriffen. Lasst mich endlich los, Hohlköpfe! Das war alles eine grosse Dummheit, ein Irrsinn!» Wütend tritt die Gestalt ein auf dem Boden liegendes Buch mit dem Titel «Mein Kampf». Ich verstehe diese Szene so, als würde A.H. immer noch in einer Zwischenwelt gefangen gehalten. Ihn Verehrende nähren sich an seinem Geist. Deswegen kann die braune Glocke über Europa sich nicht auflösen. Ich bitte die Engel um Erlösung dieser verzweifelten Seele. Daraufhin wird der Raum mit einem hellen Licht erfüllt, mehrere Engel heben die jämmerliche Gestalt unter den Armen hoch und fliegen mit ihr in den Himmel. Es wird still und ich habe zunächst den Eindruck, dass dies alles war. Weit gefehlt! Plötzlich öffnet verschwindet der unterirdische Raum, ich befinde mich wieder in der Suite im 4. Stock des Hotels Dreesen. Die ganze Wand öffnet sich zum Rhein hin. Eine Kolonne Männer in braunen Uniformen mit einem Hakenkreuz auf den Oberarmbinde marschieren in unsere Suite ein. Jemand gibt den Befehl: «Rechts um!» Alle salutieren ein letztes Mal in Richtung Siebengebirge und Himmel, ein Mann nach dem anderen, jetzt sind auch Frauen darunter, springt vom Balkon nach unten und verwandelt sich dabei in eine braune Sauce, die schliesslich in den Rhein fliesst. Dies dauert eine lange Zeit. Ich bin Zeugin davon, wie sich die dicke braune Sauce immer mehr auf der vorderen Fassade des Hotels verteilt, in den Rhein fliesst und ihn in nördlicher Richtung braun färbt. Auf der Höhe des Kölner Doms sehe ich, wie die Muttergottes ihren blauen Mantel ausbreitet. Unter ihrem Schutz löst sich die braune Farbe auf, und der Rhein erhält sein goldenes Licht zurück. Während auch diese Szene andauert, beginnt sich die braune Glasglocke über Deutschland aufzulösen. Ich bitte die himmlischen Mächte dieses Geschehen auch weiterhin zu begleiten und beende meine Meditation. Bevor ich in einen tiefen Schlaf versinke, höre ich die Worte Jesu: «Es ist vollbracht!» Einige Stunden später wache ich auf, es ist noch Nacht. Durch das Fenster der Balkontür dringt helles Licht. Ich denke, es sei der Mond. Neugierig stehe ich auf, trete auf den Balkon und sehe über dem Petersberg einen grossen Stern, der die Landschaft ungewöhnlich stark erleuchtet: Es ist der Jupiter, der dieses und nächstes Jahr seine Bahn besonders nahe an unserem Planeten vorbeizieht. Meine Freude über dieses Licht wird noch grösser beim Sonnenaufgang am nächsten Morgen. Friedlich liegt die Landschaft da, die Lastschiffe auf dem im Sonnenlicht glitzernden Rhein ziehen gemächlich ihre Bahn, eine Schar Gänse fliegt schnatternd vorbei. Mir kommt ein Lied von Cat Stevens in den Sinn: «Morning has broken, like the first morning, blackbird has spoken like the first bird … Mine is the sunlight, mine is the morning, born of the One light, Eden saw play … praise with elation, praise every morning God’s recreation of the new day.»  Übersetzt etwa so: Der Morgen bricht an, wie der erste Morgen, die Amsel hat gesprochen, wir der erst Vogel, mir gehört das Sonnenlicht, mir gehört der Morgen, geboren aus dem einen Licht, das schon der Garten Eden sah … Preise mit Ehrfurcht, preise jeden Morgen Gottes Wiedererschaffung des neuen Tages.
Ein neuer Tag bricht an für Deutschland, für Europa, für die Welt.

Foto: Sonnenaufgang über dem Siebengebirge

und Text: Petra Dobrovolny

Von der Kunst eine Fahrkarte zu kaufen

Es gibt viele Gründe, um nach 4 Jahren wieder mal nach Bonn zu reisen. Oder besser gesagt, um es zu wagen zu reisen. Denn mit der Deutschen Bahn weiss man nie, ob man auch dort ankommt, wo man hinmöchte, geschweige denn in dem Zeitrahmen, den man sich vorgestellt hat. Mit der Besorgung unserer Fahrkarten begann bereits das Abenteuer. Es dauerte zwei Stunden. Zunächst versuchte ich mein Glück zuhause am PC. Nach einer dreiviertel Stunde gab ich auf: Es schien unmöglich an dem gewünschten Datum zur gewünschten Zeit von Bern nach Bonn zu fahren. Der Zug hält nicht in Bonn HB, sondern erst in Köln. Oder er hält nur Bonn-Beuel, eine Platzreservation kann ich nicht vornehmen. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als unser Glück im Reisezentrum des Berner HB zu suchen. Nach einer viertel Stunde Wartezeit dürfen wir an den Schalter einer Dame, die nicht gerade einen kompetenten Eindruck macht. Sie sucht eine Weile im Internet und teilt uns schliesslich mit, dass es nicht möglich sei nach Bonn zu reisen. Wir müssten nach Köln. Ich entgegne, dass dies aber ein grosser Umweg sei. Sie findet das nicht, es seien doch nur 20 Minuten. Aber diese 20 Minuten müssten wir wieder zurückfahren, dies ergäbe dann 40 Minuten Zugfahrt ohne Sinn. Nach einer weiteren Suche teilt die Dame uns mit, dass wir nur nach Bonn-Beule fahren könnten. Ich mache sie darauf aufmerksam, dass es Beuel heisse, nicht Beule. Nach kurzer Überlegung findet auch Georg, dass wir wenigstens mal bis dorthin buchen sollten. Die Dame druckt uns eine Fahrkarte aus, die sogar eine direkte Hinfahrt von Bern nach Bonn-Beuel anzeigt, ohne in Basel umzusteigen. Nach weiteren 5 Minuten erhalten wir noch die Rückfahrkarte vom Bonner HB nach Bern mit Umsteigen in Basel und Platzreservation. Die Rückfahrt scheint einfacher zu sein. Unterdessen haben wir mindestens eine halbe Stunde in dem Reisezentrum verbracht. Ich muss jetzt ins Wallis und Georg möchte mich zum Zug begleiten. Der Dame am Schalter sagt er, dass sie inzwischen in Ruhe danach suchen könne, ob doch eine Platzreservation nach Bonn-Beuel möglich sei, er käme in etwa 10 Minuten wieder. Nach diesen 10 Minuten ist die Dame jedoch mit einem anderen Kunden beschäftigt und tut so, als hätte sie Georg noch nie gesehen. Ein anderer Kollege kümmert sich jetzt um unser Anliegen. Eine Platzreservation nach Beuel scheint weiterhin unmöglich zu sein. Wir sollten einfach einsteigen und schauen, wo es freie Plätze gäbe. Das wollen wir aber nicht, denn wir wissen, wie gut besetzt die Züge in den Norden sind. Am nächsten Tag geht Georg noch einmal ins Reisezentrum am Bahnhof. Er wendet sich direkt an den Mitarbeiter, der neue Kolleg*innen in die Geheimnisse der Kundenberatung einweiht. Innerhalb von 5 Minuten erhalten wir die gewünschte Platzreservation, und zwar nach Bonn HB, obwohl der Zug dort gar nicht hält. Die Reservation ist gratis. Immerhin … 

Am 21. September finden wir tatsächlich unsere reservierten Plätze im EC von Bern nach Hamburg Altona, Bern ab um 13.04 Uhr. Laut der Informationstafel soll der Zug in Bonn HB halten. Wunderbar! Wir machen es uns gemütlich und freuen uns, dass wir in Basel nicht umsteigen müssen. In Basel hat der Zug etwa eine halbe Stunde Aufenthalt. Zeit genug, um noch etwas Proviant einzukaufen. Auf dem Bahnsteig kündigt die Infotafel an, dass der EC in Bonn-Beuel halten werde. Wir nehmen es gelassen. Gegen 15 Uhr nähern wir uns Freiburg. Hier steigen viele Leute ein. Karlsruhe, Mannheim. Die Hälfte unserer Reise ist geschafft. Mit 15 Minuten Verspätung. Mainz, Koblenz. Graue Wolken ziehen auf. In den Städtchen am Rhein entlang ist kein Mensch auf der Strasse zu sehen. Es kommt mir vor, als befände sich über der Landschaft eine riesige dunkelbraune Glasglocke, die alles Leben dämpft. Die Bahnstrecke säumen öfters Schrebergärten. Mir fällt auf, dass dort zahlreiche deutsche Fahnen wehen. Der Herr vom Empfang unseres Hotels sagt uns ein paar Stunden später, dass Deutschland in den letzten Jahren sehr nach rechts gerutscht sei. Es beginnt zu regnen, in Remagen wechselt der Zug die Rheinseite. Spätestens jetzt steht fest, dass er nicht in Bonn HB halten wird. Allmählich wird es dunkel, die Verspätung beträgt 30 Minuten. Der vorbeieilende Schaffner hat keine Lust, uns über die genauere Ankunftszeit in Beuel zu informieren. Wir stellen uns mit unserem Gepäck schon mal vor die Tür. Der Ec nimmt immer mehr an Fahrt auf, sodass wir befürchten, doch noch in Köln zu landen. Ein kleiner Bahnhof und ein stellenweise mit Gras bewachsener ungepflegter Bahnsteig kommen in Sicht, der Zug hält tatsächlich an. Es giesst in Strömen. Eine steile unbedachte Holztreppe führt zu einer Plattform über den Gleisen und auf der anderen Seite geht es ebenso steil hinunter. Mit unserem Gepäck schaffen wir das gerade noch. Ein netter Herr hilft einer gehbehinderten Dame mit ihrem Koffer. Sie nennt ihn einen Engel. Ein Taxi gibt es nicht, der nächste Bus zum Bonner HB fährt erst in 20 Minuten. Der Engel rät uns, die Strassenbahn zu nehmen. Er täte dies auch. Diese fährt in 2 Minuten und erreicht den Bonner HB in etwa 10 Minuten. Der alte Herr neben mir sagt: «Ich wohne jetzt seit 50 Jahren in Bonn. Aber so etwas habe ich noch nie erlebt. Das ist nicht nur eine Schande für die Deutsche Bahn, sondern auch eine Schande für Deutschland.» Vor dem Bonner HB stehen zu unserer Erleichterung einige Taxis. Ich frage nach dem Preis zum Hotel Dreesen. «30 Euro», lautet die Antwort in gebrochenem Deutsch. Ich sage: «Wenn Sie wissen, wo das Hotel ist, dann steigen wir ein.» Ja, er wisse es, er sei schon mal dort gewesen. Nach 20 Minuten treffen wir im Rheinhotel Dreesen ein. Die Taxifahrt kostet 25 EUR.
Wir haben ein Doppelzimmer für drei Nächte reserviert. Ich frage, ob sie eine Suite mit mehr Platz hätten. Ja, sie hätten eine einzige Suite, und diese sei zufälligerweise gerade frei. Für uns um 20% günstiger. Der nette Herr vom Empfang zeigt uns die grosszügigen Räumlichkeiten mit zwei Balkons und lobt die wunderbare Aussicht auf die Drachenburg, den Drachenfels und den Petersberg, die jetzt in der Dunkelheit beleuchtet sind. Er schätze sich glücklich, einen so schönen Arbeitsplatz zu haben, wo wir jetzt ein paar Tage Urlaub machen dürften. Besonders schön seien die Sonnenaufgänge, ab morgen scheine wieder die Sonne. Wir sagen zu, lassen unser Gepäck in der Suite und eilen ins noch bis 21 Uhr geöffnete Restaurant, wo uns eine leckere Kürbiscremesuppe und ein Glas Bier erwarten.

Foto: Aussicht auf den Rhein vom Petersberg bis zum Drachenfels

und Text: Petra Dobrovolny

Die Botschaft einer verstorbenen Mutter an ihre Kinder

Einen Tag, nachdem unsere Freundin Gisela gestorben war, erschien sie mir in der Nacht auf den 14. September, ein paar Tage vor ihrer Beerdigung in Locarno. Sie trägt ein hellbeiges langes Brautkleid, einen Schleier aus Spitzen in der Form, wie es die Frauen in Spanien in der Kirche tragen. In ihren Händen hält sie als Brautstrauss kurzstielige rote Rosen mit weisser Myrte. Sie sieht so aus, wie sie im Alter von etwa 50 Jahren aussah. Sie bittet mich, Ihren sechs Kindern folgende Botschaft zu überbringen und sagt: «Liebe Kinder! Trauert nicht um mich, der Herr hat mich von meinen Leiden erlöst. Dankt Ihm dafür, freut euch darüber und feiert. Das Leben ist ein grosses Geschenk, das Sterben gehört dazu. Ich hatte genügend Zeit zum Abschiednehmen vom irdischen Leben, habe alles geregelt, ich habe mich mit allem und allen versöhnt. So konnte ich mich voller Vertrauen in Seine Hände begeben. – Ich möchte euch von Herzen danken, dass ihr mich als Mutter in diesem euren Leben gewählt hattet. Wir haben viel voneinander gelernt. Dies war die Erfüllung für mich und meine Freude. – Bei der Feier in Locarno werden meine sterblichen Überreste neben diejenigen von Mario gebettet. Doch dies ist nur ein äusseres Bild in eurer Wirklichkeit. In Wahrheit geht meine Reise danach weiter: Engel werden mich zu meinem geliebten Partner in den Himmel begleiten. Dort wird eine himmlische Hochzeit stattfinden. So haben wir es uns immer gewünscht, und dieser Wunsch geht nun in Erfüllung. Als eure himmlischen Eltern werden wir liebevoll von oben über euch, euren Kindern und Kindeskindern wachen, euch beschützen und euch beiseite stehen. Wenn ihr es wünscht, könnt ihr uns um Rat fragen. Doch erinnert euch, ihr habt euren freien Willen und eure Freiheit. Wir begleiten euch in Liebe, wie auch immer ihr euch entscheiden mögt. Zum Schluss wünsche ich mir, dass ihr euch immer gut vertragt und euch gegenseitig unterstützt. Lasst es euch gut gehen und feiert das Leben.»   

Zum Abschied winkt sie, wirft Kusshändchen und dreht sich um. Zwei Engel nehmen sie in ihre Mitte. Sie schreiten langsam in diagonaler Richtung nach rechts oben, von meiner Perspektive aus gesehen von mir weg. In der Ferne sehe ich eine Brücke in Regenbogenfarben über einem Fluss, auf der anderen Seite der Brücke wartet ihr vor Jahren verstorbener Lebenspartner, festlich gekleidet wie ein Bräutigam, in der Brusttasche ist ein kleines Sträusschen mit Maiglöckchen, hinter ihm steht Giselas Bruder, ebenfalls festlich gekleidet. Er scheint einer der Trauzeugen zu sein, weiter hinten sind noch viele Seelen verstorbener Familienmitglieder versammelt. Es herrscht eine Atmosphäre der freudigen Erwartung. Von irgendwoher klingt eine himmlische Musik.

Foto und Text: Petra Dobrovolny