Heute biete ich zum letzten Mal in diesem Jahr meine Klangmeditation „Dona nobis pacem“ in der Seitenkapelle der Leukerbadner Pfarrkirche an. Gleichzeitig findet im Aufbahrungsraum St. Josef eine Totenwache für eine verstorbene Dorfbewohnerin statt. Der mit Blumen geschmückte Sarg ist in der Mitte des Raumes aufgestellt, das ganze Dorf verabschiedet sich von einem geliebten Menschen. In Gedanken schicke ich meine Klänge in diesen Raum und ein „Agnus Dei, dona eis requiem“, „Lamm Gottes, schenke der Verstorbenen Frieden“. Nach meiner Vorstellung sucht ein Basler Ehepaar das Gespräch mit mir und meint, die Klänge seien wunderschön gewesen. Sie seien selbst Musiker, spielten aber eine ganz andere Musik und hätten so etwas noch nie gehört. Die Baslerin bedankt sich besonders bei mir, denn sie sei mit Schmerzen im Bauch gekommen und würde jetzt schmerzfrei wieder gehen. Sie ist nicht die Erste, die mir eine so erfreuliche Rückmeldung gibt.
Foto und Text: Petra Dobrovolny
7. 12.: Notre Dame, Paris
Was internationale Zusammenarbeit zu einem friedlichen Zweck bewirken kann, zeigt sich in diesen Tagen in Paris. Am 7. Dezember wurde die Cathédrale Notre-Dame feierlich wiedereröffnet. Am 19. April 2019 war in deren Dachstock aus unbekannten Gründen ein Brand ausgebrochen. Die Bilder gingen um die Welt und berührten die Herzen. Die Feuerwehr konnte durch richtiges Handeln das Schlimmste verhindern: Die zwei vorderen Türme fielen nicht und die vordere Fassade blieb fast unbeschadet. Wie durch ein Wunder verfehlte der herabstürzende Vierungsturm, „la flèche“ genannt, die berühmte Statue der Madonna mit dem Kind aus dem 14. Jahrhundert und die Pietà in der Mitte der Kathedrale. Schnell wurde entschieden: Notre-Dame soll wieder aufgebaut werden. Spenden aus der ganzen Welt trafen ein. Während vier Jahren gaben 2000 Fachkräfte aus allen möglichen Ländern ihr Wissen und ihre ganze Kraft in dieses Projekt, das zu Beginn unmöglich schien. Seine Rede hätte Präsident Macron gemäss Weisung der Kirchenobersten auf dem Platz vor der Kathedrale halten sollen. Das schlechte Wetter verhinderte dies zum Glück, und sie fand im Inneren statt. Er dankte allen, die dazu beigetragen haben, dass diese Kathedrale, die nicht nur Frankreich, sondern der ganzen Welt gehöre, in einer noch grösseren Schönheit, „splendeur“, wiederauferstanden sei. Die Eröffnungsfeier dauerte drei Stunden und wurde weltweit übertragen. Zu Gast waren u.a. Trump mit einer goldgelben Krawatte, Selenskyj in militärgrün, Steinmeier mit Gattin, Georgia Meloni, die zu meinem Erstaunen mit Macron Englisch spricht, Prince William, dessen Hand von Trump herzlich geschüttelt wurde, und Elon Musk. Es ist ein Tag der Freude.
Die meisterhaft vorgetragene klassische Musik vertieft die Stimmung der Freude und Dankbarkeit. Ein Kopfschütteln bewirkt allerdings eine Passage der Improvisation des Organisten während der feierlichen Einweihung der neuen Orgel. Er hämmert einige Minuten lang wild auf die Tasten ein, sodass laute und disharmonische Klänge sich in den heiligen Raum und über das Publikum ergiessen. In einem nächsten Teil improvisiert er mit kirchentraditionellen Klängen und Tonlagen, die nach dem wilden Ausbruch besonders sanft und wohltuend wirken. Trotzdem erhält der Organist in nachträglichen Kommentaren schlechte Noten. Ich kommentiere auf Youtube: Es könnte sein, dass der Musiker den Zustand der Welt spiegeln und an die furchtbaren Kriege erinnern wollte. Mit einer Orgel kann man alle Fassetten ausdrücken. Sein Beitrag hat die sonst fast zu harmonische und somit einseitige Feier zu einer Vollendung gebracht. Für meinen Kommentar erhalte ich sogar Zustimmung.
Foto und Text: Petra Dobrovolny
Adventszeit
Advent: Worauf wie lange warten?
Pünktlich zum 1. Advent hängt wie jedes Jahr unser deutscher Nachbar gemeinsam mit dem Berner Nachbarn in dessen Kellerabteil etwa 20 kg rohes Schweine- und Rindfleisch zum Trocknen auf. Diejenigen unter Euch, die meine Tagebücher der letzten drei Jahre gelesen haben, wissen bereits, was nach ein paar Tagen passiert: Es entwickelt sich ein penetranter Verwesungsgeruch, der sich bis in die Waschküche und das Treppenhaus verbreitet. Seit drei Jahren beschwere ich mich über diesen Gestank, denn es ist mir jeweils für 6 Monate nicht möglich, meine Wäsche in der gemeinschaftlichen Waschküche zu trocknen. Auch an der letzten Eigentümerversammlung im Oktober, an welcher ich zum ersten Mal dieses Thema „öffentlich“ zur Sprache brachte, fand ich kein Gehör. Die Fleischtrockner meinten, dies täten sie schon seit 22 Jahren, es sei erlaubt und gute alte Walliser Tradition, von mir liessen sie sich nichts verbieten. Dass sich das Kellerabteil im gemeinschaftlichen Zivilschutzkeller befindet, sei unwichtig. Käfer und Mäuse gehörten zu einem Haus. Diese müsse man einfach töten. Dass es ein Hausreglement gibt, das bei der Nutzung gemeinsamer Räume auf die Rücksichtnahme setzt, wird ignoriert. Auch vom Verwalter. Dieser meint später zu Georg, das Problem würde sich „durch einen natürlichen Abgang“ lösen, die nächste Generation würde bestimmt kein Fleisch trocknen. Ausserdem sei diese Tätigkeit auf einen kurzen Zeitraum von 6 Wochen beschränkt. Falls ich wolle, könnte ich gerichtlich gegen diese Nachbarn vorgehen. Das will ich aber nicht. Also bleibt mir mal wieder nichts anderes übrig, als in den kommenden Monaten meine Wäsche nicht in der Waschküche zu trocknen. Das versprochene Gitter gegen Mäuse und Ungeziefer wurde bis jetzt noch nicht vor dem dortigen Fenster montiert. Niemand der anderen Miteigentümer*innen will mit der Sache etwas zu tun haben und Partei ergreifen. Niemand hat etwas gerochen. Meine Erkundigungen beim kantonalen Amt für Zivilschutzbauten ergeben: Es seien nur bauliche Veränderungen nicht erlaubt. Starke Geruchsemissionen seien Sache der jeweiligen Eigentümergemeinschaft. Ich soll also warten, bis die zwei etwa 85jährigen Nachbarn das Zeitliche segnet. Ähnlich scheint es auf der grossen Weltbühne zu sein: Wir müssen warten, bis Staatspräsidenten, die auch heute immer noch ihre Macht missbrauchen, ihr Lebensende erreicht haben, damit es Frieden und Gerechtigkeit gibt. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als öfters die Waschküche zu lüften und als Kontrastprogramm „das Parfum der Liebe Gottes“ (siehe hier im Text vom 20. August) in der Kirche zu geniessen. Die heilige Maria von Fatima tröstet mich und sagt: „Hab‘ Vertrauen! Diese Zeit wird zu Ende gehen. Hebe deinen Blick zu den Sternen: Kreise vollenden sich, neue Kreise werden beginnen.“
Foto und Text: Petra Dobrovolny
20.11.2024 „Weggeschichten“
Am 20. November hielt Bruno Zumofen, der Experte für die Geschichte Leukerbads, wieder einen Vortrag. Im Januar 2023 durfte ich bei seinen Ausführungen über die alten Badner Familien einiges erfahren. Darüber habe ich am Anfang meines Tagesbuchs 2023 berichtet. Dieses Mal heisst das Thema „Weggeschichten“, und Bruno erzählt auf „Wallisertitsch“, ab wann es welche Wege von und nach Leukerbad gab, und wer sie wann benutzen durfte. Als historisches Dokument dient ihm „das weisse Buch“, worin der jeweilige Gemeindeschreiber in der Zeit von 1500 bis 1908 alle wichtigen Gegebenheiten aufgeschrieben hat. Die heutige Strasse von Leuk im Rohnetal bis hinauf nach Leukerbad gibt es seit 1850. Vorher gab es nur den schmaleren Römerweg. Kutschen fuhren bis 1915, danach gab es bis 1967 die Zahnradbahn, welche zum grossen Bedauern vieler von Bussen abgelöst wurde.
Alte Flurnamen entstammen dem frankoprovenzalischen Dialekt. Darin enthaltene Silben wie „plan“ bedeutet Ebene oder „prae“ bedeutet Wiesenmatte. Auch keltische Namen sind erhalten geblieben. „Leuk“ bedeutet Wiese, „Dala“ trüber Fluss, „Brig“ Brücke, „Wallis“ Tal der Römer. Die damalige Walliser Währung hiess „Mauriner Pfund“. Die Strasse zur Nachbargemeinde Albinen gibt es erst seit 1978. Vorher benutzten die Einheimischen nur die Leitern, die es heute noch gibt. Es war damals keine Seltenheit, dass auch 70- oder 80jährige Frauen die Leitern geschickt hinauf- und hinabkletterten. Auch Kinder und Tiere wie zum Beispiel Ziegen wurden auf dem Rücken über die Leitern getragen.
1232 wurde zum ersten Mal der Gemmipass und der Weg nach Kandersteg erwähnt. Dies war vor Inbetriebnahme der Lötschbergbahn 1913 und weiteren Strassen- und Tunnelbauten während vieler Jahrhunderte der kürzeste Weg vom Berner Gebiet ins Wallis. In der Mitte des Weges wurde 1742 eine Zollstation erbaut, die später in das Gasthaus «Schwarenbach» umgewandelt wurde. Mit dem aufkommenden Tourismus beherbergte es berühmte Persönlichkeiten wie Alexandre Dumas, Jules Vernes, Guy de Maupassant, Mark Twain, J.W. Goethe, Lenin, Pablo Picasso usw.
Gemäss dem «weissen Buch» wurde festgelegt, zu welcher Zeit der Weg zu den Gebirgsweiden für das auf- und absteigende Vieh reserviert war. Die damaligen Kühe waren kleiner und hatten kürzere Beine. Heute weiden im Sommer nur noch Schafe rund um den Daubensee beim Gemmipass. Der Alpabzug im September ist immer noch jedes Mal ein Volksfest.
1484 wurde der Grundstein zur St. Barbara-Kirche gelegt. Bisher waren die Gläubigen jeden Sonn- und Feiertag den 16 km langen Weg zu Fuss zur nächstgelegenen Kirche nach Leuk gegangen. 1501 weihte Bischof Matthias Schiner von Sitten die Kirche ein und erklärte Leukerbad zur selbständigen Kirchgemeinde. Um 1870 wurde die Kirche erweitert, um 90° gedreht und der heiligen Maria geweiht. Dank dem erfolgreichen bischöflichen Marketing für das Bäderdorf entwickelten sich die Besucherzahlen rasant. Aus dem Jahr 1533 gibt es folgende Weisung im „weissen Buch“: „Falls jemand sich nicht zu Kurzwecken oder zu Besuch von Verwandten oder als Handwerker mit einem Auftrag in Leukerbad aufhält, solle er nach drei Tagen befragt werden. Kann er keinen Grund angeben, so solle er sofort abreisen, damit nichts Böses geschehe.“ Eine Zuhörerin im Publikum meint, diese Bestimmung sollte man heute wieder einführen. 1779 wurde der erste Kupferstich der Umgebung von Leukerbad erstellt und in demselben Jahr besuchte Goethe das Dorf. Er genoss die „säuberlich gefassten“ Thermalquellen und bedauerte, dass er nicht genügend Zeit gehabt hätte, um die Einheimischen, die er als freundlich und ehrlich einschätzte, näher kennenzulernen. Zu der Zeit betrug die Einwohnerzahl etwa 500.
Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Albiner Blumenkinder bei den Kurgästen sehr beliebt. Auf den schmalen Wegen nach Leukerbad pflückten sie einheimische Blumen wie Edelweiss, Enzian und Silberdisteln. Diese verkauften sie in kleinen Schachteln den Gästen, die sie per Post Bekannten und Verwandten in die ganze Welt verschickten. Manchmal verdienten die Blumenkinder pro Monat sogar mehr als der eigene Familienvater.
Die Albiner Leitern gibt es heute immer noch. Sie bestehen aus Holz, und jede ist etwa 10 m lang und 1 m breit. Ich habe sie bis jetzt auf meinen Wanderwegen vermieden. Man muss schwindelfrei sein. Es ist einfacher hinauf- als hinabzuklettern.
Foto: Altes Haus in Albinen und Text: Petra Dobrovolny